ARD-Korrespondent in Syrien
Arbeiten unter Aufsicht des Regimes
Dreharbeiten in Damaskus - das ist Berichterstattung unter
erschwerten Bedingungen und unter der ständigen Aufsicht des
Assad-Regimes. Doch auch in der syrischen Hauptstadt gibt es
Oppositionelle, die den Diktator offen kritisieren. Ein Einblick in die
Arbeit eines Auslandskorrespondenten.
Von Jörg Armbruster, ARD-Studio Kairo, zurzeit in Damaskus
Eigentlich
sollte der vergangene Montag ein Ruhetag werden für das ganze Team.
Zehn Tage lang hatten wir am Fließband Stücke über die Lage in Syrien
produziert, aus einem Studio des syrischen Fernsehens live berichtet und
auch noch Radiomagazine mit Telefonberichten versorgt. Dafür hatten wir
in Müllbergen verscharrte Leichen gedreht oder Hinrichtungsstätten mit
Blutspuren und Einschusslöcher in Hauswänden, waren den Konvois der
UN-Beobachtern hinterhergerast, hatten Syrer interviewt und irgendwann
sogar echte Oppositionelle entdeckt, die es wagten das Regime offen vor
der Kamera zu kritisieren.
In Damaskus gehen die Menschen weiter ihrem Alltag nach (Aufnahme vom 17. Juli).
Jetzt aber war Relaxen angesagt, wenigstens für einen halben Tag.
Arbeiten durften wir ohnehin nicht mehr. Unser für zehn Tage
genehmigtes Arbeitsvisum war schon am Sonntagabend abgelaufen. "Kommt
nicht auf die Idee, heimlich was zu machen", hatte Abir uns gewarnt. Das
ist die strenge Dame vom Informationsministerium, an der kein
ausländischer Korrespondent vorbeikommt. Doch mehr über sie später.
Also: Kamera auspacken, Pool vergessen
Aus
dem Ruhetag wurde nichts. Erst explodiert an diesem Montag eine Bombe
im Syrischen Staatsfernsehen, Gott sei Dank geringer Schaden, keine
Toten, aber der dritte Stock zerstört, dort wo wir unsere Lives immer
gemacht haben. Dann haut auch noch
der Ministerpräsident des Landes, Riad Hidschab,
mit Familie und einigen Kollegen nach Jordanien ab, weil er plötzlich
die verbrecherische Seite des Assad-Regimes und seine wahrscheinlich
schon seit langem schlummernde Leidenschaft für Demokratie entdeckt zu
haben glaubt.
Riad Hidschab wurde erst im Juni von Assad zum neuen Regierungschef bestimmt.
Genau zwei Monate zuvor war er von seinem Chef Baschar al Assad
vom Landwirtschaftsminister zum Premierminister befördert worden,
angeblich mit vorgehaltener Pistole. So jedenfalls stellt sein Sprecher
diesen plötzlichen Karriereschub dar. Nach der Flucht natürlich.
Also:
Kamera auspacken, unser Schnittprogramm Avid anwerfen, die Erholung am
Pool vergessen. Dass Radioprogramme anrufen und sowohl Bombenexplosion
und die Flucht des Ministerpräsidenten, der in der syrischen Politik nie
eine wirklich wichtige Rolle gespielt hatte, eingeordnet haben wollen,
versteht sich von selber. Die immer wiederkehrende Frage: "Ist das der
Anfang vom Ende?" "Wie lange hält sich Assad noch?" Antwort auf die
erste: "Ja!" und auf die zweite: "Weiß ich nicht!"
Arbeiten unter Aufsicht des Ministeriums
Von
Abir, der Dame vom Informationsministerium, haben wir nichts gehört,
keine Rüge, weil wir trotz Verbots gearbeitet hatten, keine Drohung, in
Zukunft keine Visa mehr auszugeben, gar nichts. Vielleicht kann sie sich
einfach nicht vorstellen, dass man es wagen könnte, gegen ihre Verbote
zu verstoßen. Damit ist klar, welche Schlüsselrolle diese Dame für
Auslandskorrespondenten spielt. Sie ist gewissermaßen der Daumen des
Regimes. Sie hebt oder senkt ihn bei Visa, sie hört sich gelangweilt an,
was und wo wir drehen wollen, und wieder entscheidet ihr Daumen über ja
oder nein.
Der aller erste Gang eines Auslandskorrespondenten in
Damaskus führt zu ihr. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem
Holz sitzt sie. Das Büro groß mit den üblichen Assad-Bildern an den
Wänden, denen ein paar Eimer Farbe nicht schaden würde. Ein Fernseher
läuft mit syrischen Nachrichten: „Die heldenhaften Soldaten vertreiben
die von den USA gesteuerten Terroristen.“ Wir sitzen in einer
ausgeleierten Couchgarnitur im Stil des arabischen Barocks und sehen sie
erwartungsvoll an. Ein paar Floskeln über die Hitze, die Schönheit des
Viertels sollen den Eispanzer brechen, der sie umgibt.
Alle fünf Tage eine neue Dreherlaubnis
Ist
sie einigermaßen erträglich gelaunt, bringt eine verschüchterte
Sekretärin Tee, hat Abir schlechte Laune, was nicht selten vorkommt,
bekommt man nichts, was nicht weiter schlimm ist, der Tee ist ohnehin
immer unerträglich überzuckert. Für uns gilt: Immer freundlich bleiben,
und wenn sie fragt, was man von Syrien hält, dann dreimal schlucken und
vorsichtig andeuten, dass das Land sicherlich noch eine große Zukunft
vor sich habe. Lächelt sie zufrieden, ist das die beste Gelegenheit,
Dreh- und Interviewwünsche vorzutragen. Sie hört zu, runzelt die Stirn,
gleicht in ihrem Kopf unsere Wünsche mit den Vorschriften ihrer
Vorgesetzten ab. Dann kommt die Sache mit dem Daumen. Erst wer diesen
Bittgang erfolgreich hinter sich gebracht hat, kann seine Kamera
auspacken und mit der Arbeit anfangen.
Alle fünf Tage wiederholt sich diese
Prozedur. Alle fünf Tage muss die Dreherlaubnis erneuert werden.
Allerdings, wer glaubt mit einem Brief von Abir einen Freifahrtschein in
der Tasche zu haben, irrt. Spätestens an der nächsten Straßensperre
kann der Kommandant ein Drehverbot erteilen. Keine Dreherlaubnis für
diesen Stadtteil, in dem gerade noch gekämpft worden war, keine
Dreherlaubnis an dieser Moschee, die Kamera könnte Demonstrationen
provozieren, keine Dreherlaubnis an jener Straßenkreuzung, dort stehen
zu viele Soldaten. Keine Dreherlaubnis hier, keine dort.
Höchstens
mal ein Interview. Aber was heißt hier schon Interviews? Die Antworten
sind immer dieselben, egal wen man fragt; denn neben der Kamera steht
ein Begleiter des Informationsministeriums, der genau zuhört. Es wäre
also verwunderlich, wenn jemand eine große Lippe gegen Assad riskierte.
Er müsste jederzeit mit einem Besuch des syrischen Geheimdienstes
rechnen.
Einige Oppositionelle werden geduldet
Die Kämpfe gehen auch im Zentrum von Damaskus weiter (Aufnahme vom 21. Juli).
Und doch gibt es echte Oppositionelle in Damaskus, die sich sogar
offen dazu bekennen, die offen sagen: "Assad muss weg. Früher oder
später." Sie treffen sich regelmäßig, ihre Wohnungen sind bekannt, und
sie werden geduldet vom Regime, vielleicht als Feigenblatt, vielleicht
als Rückversicherung in die Zukunft. Es sind junge Syrer, die heftig die
Zeit nach Assad planen. Liberale und Linke zumeist, die sich zumindest
untereinander kennen und sich austauschen. Dabei sind auch altgediente
Oppositionelle, die selber lange als politische Gefangene eingesperrt
waren und trotz Folter ungebrochen an einem neuen Syrien arbeiten.
Was
sie voneinander unterscheidet, ist der Grad des Zorns auf das Regime.
Die Skala reicht vom Verdruss über die Starrheit des politischen Systems
bis zur Empörung über die Diktatur mit ihren
Menschenrechtsverletzungen. Was sie eint, ist die Forderung: Das Regime
muss weg. Aber - im Unterschied zur
Opposition im Exil - dies nur mit friedlichen Mitteln.
"Wir müssen träumen"
Die
Opposition in Damaskus setzt nach wie vor auf einen Wandel ohne Gewalt,
einen ohne ausländische Intervention. Sie hoffen, dass die beiden
Großmächte, USA und Russland, auf ihren jeweiligen Syrien-Verbündeten
einwirken, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Annan war ein
Hoffnungsträger für sie. Und fragt man sie: "Ist das alles nicht ein
Traum? Jetzt noch friedlicher Wandel? Wie soll das möglich sein?" Dann
antworten die Jungen: "Wir müssen träumen, sonst zerstören wir unser
Land." Und die Alten sagen: "Wir haben einen schlimmen Albtraum hinter
uns, aber mit dem Bürgerkrieg haben wir einen noch viel schlimmeren vor
uns."
Stand: 09.08.2012 11:53 Uhr
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