
ARD-Korrespondent in Syrien
Arbeiten unter Aufsicht des Regimes
Dreharbeiten in Damaskus - das ist Berichterstattung unter erschwerten Bedingungen und unter der ständigen Aufsicht des Assad-Regimes. Doch auch in der syrischen Hauptstadt gibt es Oppositionelle, die den Diktator offen kritisieren. Ein Einblick in die Arbeit eines Auslandskorrespondenten.Von Jörg Armbruster, ARD-Studio Kairo, zurzeit in Damaskus
Eigentlich sollte der vergangene Montag ein Ruhetag werden für das ganze Team. Zehn Tage lang hatten wir am Fließband Stücke über die Lage in Syrien produziert, aus einem Studio des syrischen Fernsehens live berichtet und auch noch Radiomagazine mit Telefonberichten versorgt. Dafür hatten wir in Müllbergen verscharrte Leichen gedreht oder Hinrichtungsstätten mit Blutspuren und Einschusslöcher in Hauswänden, waren den Konvois der UN-Beobachtern hinterhergerast, hatten Syrer interviewt und irgendwann sogar echte Oppositionelle entdeckt, die es wagten das Regime offen vor der Kamera zu kritisieren.


Also: Kamera auspacken, Pool vergessen
Aus dem Ruhetag wurde nichts. Erst explodiert an diesem Montag eine Bombe im Syrischen Staatsfernsehen, Gott sei Dank geringer Schaden, keine Toten, aber der dritte Stock zerstört, dort wo wir unsere Lives immer gemacht haben. Dann haut auch noch der Ministerpräsident des Landes, Riad Hidschab, mit Familie und einigen Kollegen nach Jordanien ab, weil er plötzlich die verbrecherische Seite des Assad-Regimes und seine wahrscheinlich schon seit langem schlummernde Leidenschaft für Demokratie entdeckt zu haben glaubt.

Also: Kamera auspacken, unser Schnittprogramm Avid anwerfen, die Erholung am Pool vergessen. Dass Radioprogramme anrufen und sowohl Bombenexplosion und die Flucht des Ministerpräsidenten, der in der syrischen Politik nie eine wirklich wichtige Rolle gespielt hatte, eingeordnet haben wollen, versteht sich von selber. Die immer wiederkehrende Frage: "Ist das der Anfang vom Ende?" "Wie lange hält sich Assad noch?" Antwort auf die erste: "Ja!" und auf die zweite: "Weiß ich nicht!"
Arbeiten unter Aufsicht des Ministeriums
Von Abir, der Dame vom Informationsministerium, haben wir nichts gehört, keine Rüge, weil wir trotz Verbots gearbeitet hatten, keine Drohung, in Zukunft keine Visa mehr auszugeben, gar nichts. Vielleicht kann sie sich einfach nicht vorstellen, dass man es wagen könnte, gegen ihre Verbote zu verstoßen. Damit ist klar, welche Schlüsselrolle diese Dame für Auslandskorrespondenten spielt. Sie ist gewissermaßen der Daumen des Regimes. Sie hebt oder senkt ihn bei Visa, sie hört sich gelangweilt an, was und wo wir drehen wollen, und wieder entscheidet ihr Daumen über ja oder nein.Der aller erste Gang eines Auslandskorrespondenten in Damaskus führt zu ihr. Hinter einem wuchtigen Schreibtisch aus dunklem Holz sitzt sie. Das Büro groß mit den üblichen Assad-Bildern an den Wänden, denen ein paar Eimer Farbe nicht schaden würde. Ein Fernseher läuft mit syrischen Nachrichten: „Die heldenhaften Soldaten vertreiben die von den USA gesteuerten Terroristen.“ Wir sitzen in einer ausgeleierten Couchgarnitur im Stil des arabischen Barocks und sehen sie erwartungsvoll an. Ein paar Floskeln über die Hitze, die Schönheit des Viertels sollen den Eispanzer brechen, der sie umgibt.
Alle fünf Tage eine neue Dreherlaubnis
Ist sie einigermaßen erträglich gelaunt, bringt eine verschüchterte Sekretärin Tee, hat Abir schlechte Laune, was nicht selten vorkommt, bekommt man nichts, was nicht weiter schlimm ist, der Tee ist ohnehin immer unerträglich überzuckert. Für uns gilt: Immer freundlich bleiben, und wenn sie fragt, was man von Syrien hält, dann dreimal schlucken und vorsichtig andeuten, dass das Land sicherlich noch eine große Zukunft vor sich habe. Lächelt sie zufrieden, ist das die beste Gelegenheit, Dreh- und Interviewwünsche vorzutragen. Sie hört zu, runzelt die Stirn, gleicht in ihrem Kopf unsere Wünsche mit den Vorschriften ihrer Vorgesetzten ab. Dann kommt die Sache mit dem Daumen. Erst wer diesen Bittgang erfolgreich hinter sich gebracht hat, kann seine Kamera auspacken und mit der Arbeit anfangen.Weitere Meldungen

Höchstens mal ein Interview. Aber was heißt hier schon Interviews? Die Antworten sind immer dieselben, egal wen man fragt; denn neben der Kamera steht ein Begleiter des Informationsministeriums, der genau zuhört. Es wäre also verwunderlich, wenn jemand eine große Lippe gegen Assad riskierte. Er müsste jederzeit mit einem Besuch des syrischen Geheimdienstes rechnen.
Einige Oppositionelle werden geduldet


Was sie voneinander unterscheidet, ist der Grad des Zorns auf das Regime. Die Skala reicht vom Verdruss über die Starrheit des politischen Systems bis zur Empörung über die Diktatur mit ihren Menschenrechtsverletzungen. Was sie eint, ist die Forderung: Das Regime muss weg. Aber - im Unterschied zur Opposition im Exil - dies nur mit friedlichen Mitteln.
"Wir müssen träumen"
Die Opposition in Damaskus setzt nach wie vor auf einen Wandel ohne Gewalt, einen ohne ausländische Intervention. Sie hoffen, dass die beiden Großmächte, USA und Russland, auf ihren jeweiligen Syrien-Verbündeten einwirken, um einen Waffenstillstand zu erreichen. Annan war ein Hoffnungsträger für sie. Und fragt man sie: "Ist das alles nicht ein Traum? Jetzt noch friedlicher Wandel? Wie soll das möglich sein?" Dann antworten die Jungen: "Wir müssen träumen, sonst zerstören wir unser Land." Und die Alten sagen: "Wir haben einen schlimmen Albtraum hinter uns, aber mit dem Bürgerkrieg haben wir einen noch viel schlimmeren vor uns."UN-Beobachter verlassen umkämpftes Aleppo (07.08.2012)
Reportage: Krieg nimmt auf Zivilisten keine Rücksicht (04.08.2012) [video]
Stand: 09.08.2012 11:53 Uhr