Was doch deutsche Politiker zum Nachdenken bringen sollte!
Sie erinnerte an die ebenfalls von der SVP angestoßene Abstimmung über Asylmissbrauch im Jahr 2002, als die Ablehnungsquote hauchdünne 50,1 Prozent betrug. „Es geht um Promille in der einen oder anderen Richtung“, verkündete Claude Longchamp, der Leiter des Umfrageinstituts GFS Bern, zwei Stunden nach Schließung der Abstimmungslokale. Zu jener Zeit hatte der Kanton Zug, der in den vergangenen Jahren Firmenansiedlungen und Einwanderung besonders gefördert hatte, nur mit einer 50-Stimmen-Mehrheit mit Nein gestimmt.
Als der knappe Sieg bei der Abstimmung feststand, führte er unter den Befürwortern der Initiative zu völlig unschweizerischen Jubelstürmen. Die Resultate offenbarten zweierlei: Wieder einmal stimmte die französischsprachige Westschweiz tendenziell anders als die Deutschschweiz. So stehen rund 61 Prozent Ablehnung der SVP-Initiative in Genf und im Waadtland knapp 51 Prozent Zustimmung im Kanton Baselland und 59 Prozent im Kanton Glarus gegenüber. Offenbar sieht man im französischen Teil der Schweiz die Einwanderungsfrage entspannter.
Darüber hinaus neigten nicht nur die ländlichen Kantone, sondern auch die Regionen rund um die größeren Städte zu einem Ja bei der Abstimmung. Hier leben die Familien, die bei den Mieten und Hauspreisen stärker rechnen müssen, hier wird viel zur Arbeit gependelt. Der „Dichtestress“ aus steigenden Immobilienpreisen, mehr Verkehr und Zersiedelung sowie ein gefühlter oder echter Lohndruck dürfte sich in solchen Kleinstädten und Gemeinden besonders stark ausgewirkt haben. Dies gilt insbesondere in den Kantonen entlang der Grenze zu Deutschland, woher in den vergangenen Jahren die Mehrzahl an gut qualifizierten Einwanderern kam.
Das Votum der Schweizer steht einer Absage an die EU gleich. Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass die EU der überragende Handelspartner der Eidgenossen ist. Allein mit Baden-Württemberg ist der Warenaustausch so groß wie mit den Vereinigten Staaten. Die Schweizer Unternehmer und Manager, die angesichts eines weithin ausgetrockneten Arbeitsmarkts gerne im Ausland auf die Suche nach Arbeitskräften gehen, waren zuversichtlich, dass die Initiative abgelehnt werde.
Die jüngsten Abstimmungen rechtfertigten diesen Optimismus nicht. So ging im März 2013 die „Abzocker-Initiative“ für eine größere Mitsprache der Aktionäre bei der Managerentlohnung und gegen Sonderzahlungen wie Antrittsprämien und Abgangsentschädigungen unerwartet glatt durch.
Die Angst vor einem Identitätsverlust in der Schweiz schlug sich in der Abstimmung vom Sonntag nieder. Auf Regierungsseite war Justizministerin Simonetta Sommaruga weitgehend die einzige, die sich in den öffentlichen Auftritten zum Thema äußerte. Der SVP-Vorstoß war zudem geschickt lanciert.
Einerseits legte sich auf Höchstzahlen und nach Wirtschaftsbereichen gestaffelte Kontingente fest, wobei auf die „gesamtwirtschaftlichen Interessen“ Rücksicht genommen werden solle. Dies soll für alle Arten von Ausländern gelten, also neben den Einwanderern auch für Pendler und für Asylbewerber. Garniert wurde das Ansinnen neben einem Inländervorrang mit der Forderung: „Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden.“
In Bezug auf die EU hielt die SVP zugleich Argumente zur Beruhigung bereit. Zwar müsste das Abkommen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer neu verhandelt werden, heißt es in dem Antrag. Aber zugleich wird hierfür eine Frist von drei Jahren gesetzt.
Die Wirtschaft warnte ihrerseits die Schweizer vor einem Wohlstandsverlust als Folge der Annahme durch die SVP-Initiative, und EU-Vertreter sagten, es gebe nichts zu verhandeln. Im schlimmsten Fall würde das ganze erste Vertragspaket zwischen der EU und der Schweiz aus dem Jahr 1999 hinfällig werden. Wer aber wann und wie kündigen würde, sei völlig unklar. Zuletzt äußerte sich Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments zum Verhältnis zur EU: „Ich möchte nicht spekulieren, aber ich denke, dass die EU die bilateralen Verträge nicht von sich aus kündigen würde.“
Volksabstimmung in der Schweiz Sieg der Angst vor Überfremdung
09.02.2014
·
Die Schweizer sind uneins. Der knappen
Mehrheit für eine Einwanderungsschranke stehen große Unterschiede im
Stimmverhalten gegenüber. Französische und deutsche Schweiz stimmten so
unterschiedlich wie Stadt und Land.
Von
Jürgen Dunsch, Zürich
© dpa
Traum von einem Land ohne Deutsche: Politiker der nationalkonservativen SVP jubeln in Zürich nach dem Sieg beim Volksentscheid
Die ersten Ergebnisse kamen
aus den Kantone Aargau und Schaffhausen an der Grenze zu Deutschland.
Dort stimmten die Schweizer mit 55 Prozent und 58 Prozent für das
Volksbegehren der nationalkonservativen Schweizerischen Volkspartei
(SVP) „Gegen Masseneinwanderung“. In der erste Hochrechnung am Sonntag
um 13.30 Uhr dann lagen die Befürworter und ihre Gegner mit 50 zu 50
gleichauf. Zugleich zeichnete sich zu jenem Zeitpunkt bereits ab, dass
das Tessin zu nahezu 70 Prozent das Volksbegehren unterstützen würde,
das die Gegner im Abstimmungskampf versucht hatten, als
„Abschottungsinitiative“ zu brandmarken.
Der Südkanton, in dem ein Viertel der
Beschäftigten Pendler aus Italien sind, würde sich damit am klarsten für
die Einwanderungshürde aussprechen. Noch um 15 Uhr betrug die
Ja-Mehrheit für die SVP-Initiative quer durchs Land gerade einmal 29.000
Stimmen, eine halbe Stunde später war mit 38.000 Stimmen nicht viel
mehr erreicht, waren doch zum Beispiel die bevölkerungsreichen Städte
Zürich und Bern noch nicht ausgezählt.„Promille in der einen oder anderen Richtung“
Klar waren am Nachmittag zwei andere Ergebnisse: Die Stimmbeteiligung lag weit über dem Durchschnittswert von rund 44 Prozent bei Volksentscheiden. Und die Mehrheit der Kantone, neben dem sogenannten Volksmehr die zweite Voraussetzung für einen Erfolg der Einwanderungsgegner, würde locker erreicht werden. Das tat der Dramatik des Sonntags keinen Abbruch.Sie erinnerte an die ebenfalls von der SVP angestoßene Abstimmung über Asylmissbrauch im Jahr 2002, als die Ablehnungsquote hauchdünne 50,1 Prozent betrug. „Es geht um Promille in der einen oder anderen Richtung“, verkündete Claude Longchamp, der Leiter des Umfrageinstituts GFS Bern, zwei Stunden nach Schließung der Abstimmungslokale. Zu jener Zeit hatte der Kanton Zug, der in den vergangenen Jahren Firmenansiedlungen und Einwanderung besonders gefördert hatte, nur mit einer 50-Stimmen-Mehrheit mit Nein gestimmt.
Als der knappe Sieg bei der Abstimmung feststand, führte er unter den Befürwortern der Initiative zu völlig unschweizerischen Jubelstürmen. Die Resultate offenbarten zweierlei: Wieder einmal stimmte die französischsprachige Westschweiz tendenziell anders als die Deutschschweiz. So stehen rund 61 Prozent Ablehnung der SVP-Initiative in Genf und im Waadtland knapp 51 Prozent Zustimmung im Kanton Baselland und 59 Prozent im Kanton Glarus gegenüber. Offenbar sieht man im französischen Teil der Schweiz die Einwanderungsfrage entspannter.
Darüber hinaus neigten nicht nur die ländlichen Kantone, sondern auch die Regionen rund um die größeren Städte zu einem Ja bei der Abstimmung. Hier leben die Familien, die bei den Mieten und Hauspreisen stärker rechnen müssen, hier wird viel zur Arbeit gependelt. Der „Dichtestress“ aus steigenden Immobilienpreisen, mehr Verkehr und Zersiedelung sowie ein gefühlter oder echter Lohndruck dürfte sich in solchen Kleinstädten und Gemeinden besonders stark ausgewirkt haben. Dies gilt insbesondere in den Kantonen entlang der Grenze zu Deutschland, woher in den vergangenen Jahren die Mehrzahl an gut qualifizierten Einwanderern kam.
Das Votum der Schweizer steht einer Absage an die EU gleich. Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass die EU der überragende Handelspartner der Eidgenossen ist. Allein mit Baden-Württemberg ist der Warenaustausch so groß wie mit den Vereinigten Staaten. Die Schweizer Unternehmer und Manager, die angesichts eines weithin ausgetrockneten Arbeitsmarkts gerne im Ausland auf die Suche nach Arbeitskräften gehen, waren zuversichtlich, dass die Initiative abgelehnt werde.
Die jüngsten Abstimmungen rechtfertigten diesen Optimismus nicht. So ging im März 2013 die „Abzocker-Initiative“ für eine größere Mitsprache der Aktionäre bei der Managerentlohnung und gegen Sonderzahlungen wie Antrittsprämien und Abgangsentschädigungen unerwartet glatt durch.
Die Angst vor einem Identitätsverlust in der Schweiz schlug sich in der Abstimmung vom Sonntag nieder. Auf Regierungsseite war Justizministerin Simonetta Sommaruga weitgehend die einzige, die sich in den öffentlichen Auftritten zum Thema äußerte. Der SVP-Vorstoß war zudem geschickt lanciert.
Einerseits legte sich auf Höchstzahlen und nach Wirtschaftsbereichen gestaffelte Kontingente fest, wobei auf die „gesamtwirtschaftlichen Interessen“ Rücksicht genommen werden solle. Dies soll für alle Arten von Ausländern gelten, also neben den Einwanderern auch für Pendler und für Asylbewerber. Garniert wurde das Ansinnen neben einem Inländervorrang mit der Forderung: „Der Anspruch auf dauerhaften Aufenthalt, auf Familiennachzug und auf Sozialleistungen kann beschränkt werden.“
Sorge vor der „Einwanderung in den Sozialstaat“
Das stärkt all jene, die in der wohlhabenden Schweiz eine „Einwanderung in den Sozialstaat“ von Leuten rund um die Welt befürchten. Die Regierung reagierte hierauf kurz vor der Abstimmung relativ hilflos mit der Verkündung von Einschränkungen in der Sozialhilfe für Ausländer, deren Verwirklichung indes einige Zeit in Anspruch nimmt. Für viele war dies nur eine Bestätigung des Umstands, dass jährlich 80000 Menschen in die Schweiz einwandern – recht viel für das kleines Land.In Bezug auf die EU hielt die SVP zugleich Argumente zur Beruhigung bereit. Zwar müsste das Abkommen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer neu verhandelt werden, heißt es in dem Antrag. Aber zugleich wird hierfür eine Frist von drei Jahren gesetzt.
Die Wirtschaft warnte ihrerseits die Schweizer vor einem Wohlstandsverlust als Folge der Annahme durch die SVP-Initiative, und EU-Vertreter sagten, es gebe nichts zu verhandeln. Im schlimmsten Fall würde das ganze erste Vertragspaket zwischen der EU und der Schweiz aus dem Jahr 1999 hinfällig werden. Wer aber wann und wie kündigen würde, sei völlig unklar. Zuletzt äußerte sich Martin Schulz, der Präsident des Europaparlaments zum Verhältnis zur EU: „Ich möchte nicht spekulieren, aber ich denke, dass die EU die bilateralen Verträge nicht von sich aus kündigen würde.“
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