Ungleichbehandlung durch die TV-Berichterstattung?
Peer Steinbrück und Angela Merkel sind auf Bildschirmen während des
TV-Duells zu sehen
(Foto: dpa)
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Ist es Zufall, dass TV-Moderatoren mit der Opposition härter ins
Gericht gehen als mit den Regierungsparteien - und das noch am
Wahlabend? Als historisch gilt schon jetzt vieles an dieser Wahl.
Womöglich ist auch die Objektivität des Fernsehjournalismus Geschichte.
Eine TV-Kritik.
Von Ruth Schneeberger
Noch nie in der Geschichte der Bundestagswahlen sei ein Kandidat von den Medien so niedergemacht worden wie Peer Steinbrück, befand kürzlich Giovanni di Lorenzo. Letzterer ist Chefredakteur der Zeit und hat womöglich genau das: die Zeit, sich Gedanken über den Umgang der eigenen Zunft mit Politikern zu machen.
Je weniger Zeit Journalisten hingegen haben, desto weniger Muße
haben sie, unter anderem auch ihre eigene Rolle zu reflektieren.
Vielleicht ist das ein Grund dafür, warum gerade TV-Journalisten in
diesem Wahlkampf ungleich härter mit einem Kandidaten umgingen, der
schon früh als Wahlverlierer galt, als mit einer Bundeskanzlerin, die
sich ihres Sieges fast schon sicher sein durfte.
TV-Journalismus ist ein anstrengendes Geschäft: Zeitdruck,
Konkurrenz, Technik, neue Medien, Storytelling im Minutentakt, Menschen,
Bilder, Emotionen - alles kommt zusammen. Das Fernsehen ist ein
Massenmedium, muss allgemein verständlich bleiben. Ein gewisser
Mainstream-Effekt stellt sich deshalb automatisch ein. Allerdings haben
vor allem die öffentlich-rechtlichen Sender auch einen deutlichen
Bildungsauftrag. Die Sender müssen informativ, kritisch und unabhängig
auch über Politik berichten. Sie sollen, zusammen mit den anderen Medien
im Lande, eine Art vierte Gewalt im Staate bilden, um Exekutive,
Legislative und Judikative, wo nötig, zu kontrollieren und die
Öffentlichkeit angemessen zu informieren.
So feierte die CDU ihren Wahlsieg
Kauder singt, Merkel tanzt
"An Tagen wie diesen": CDU-Fraktionschef Volker Kauder singt,
die Parteispitze tanzt um Kanzlerin Angela Merkel. So feierten die
Wahlsieger der CDU ihrem Triumph.
Unangenehm auf Angriff vs. öffentliches Kuscheln
Ist es also wirklich förderlich, wenn eine öffentlich-rechtliche
TV-Moderatorin mit dem Spitzenkandidaten der Opposition nur wenige Tage
vor der Wahl
wegen einer in einem Foto-Interview gezeigten ironischen Geste
übermäßig hart ins Gericht geht? Dass Peer Steinbrück sich nicht selbst
auf den Titel des SZ-Magazins gehoben hat und dass er damit nicht
die Wähler beleidigen, sondern sich auf Aufforderung gegen seine
medialen Kritiker richten wollte - ist das für eine gut unterrichtete
TV-Journalistin tatsächlich schwierig zu verstehen? Oder wie ist es zu
erklären, dass Marietta Slomka unangenehm auf Angriff gebürstet im
Interview Peer Steinbrück "aggressiv, obszön und ungehörig" nannte, nur
weil er denjenigen den Stinkefinger zeigte, die ihn Pannen-Peer oder
Peerlusconi geschimpft hatten?
Und wie soll man es einordnen, wenn Markus Lanz in der letzten Woche vor der Bundestagswahl
in seinem abendlichen Talk, ebenfalls im ZDF, plötzlich und ohne
größeren Anlass die FDP sehr deutlich meint in Schutz nehmen zu müssen -
zur Verwunderung seiner Gäste?
Um es deutlich zu benennen: Journalisten, auch im TV, sollten,
gerade vor einer Wahl, Politikern so kritisch wie möglich begegnen. Das
gilt allerdings für alle Parteien. Ist es - wiederholt - vor allem der
Spitzenkandidat der Opposition, der sich Kritik ausgeliefert sehen muss,
während die regierende Kanzlerin fast komplett von solcher verschont
bleibt, dann läuft da etwas falsch. Und wenn die FDP
als Regierungspartei ganz selbstverständlich sehr viel Sendeplatz
füllt, die anderen kleineren Parteien aber kaum noch vorkommen,
ebenfalls. Denn wenn es eine Partei gibt, die zum Überwachungsskandal
mehr zu sagen gehabt hätte als ihn für beendet zu erklären, warum wurden
die Piraten in Sendungen zu NSA und Prism dann kaum jemals eingeladen?
Ein ähnlich beschränktes Bild bietet sich am Abend der
Bundestagswahl. Die aktuellen Sendungen, gespickt mit Hochrechnungen und
Schaltungen in die Parteizentralen, waren, geführt von Caren Miosga,
Ulrich Deppendorf und Jörg Schönenborn in der ARD, Bettina Schausten und
Theo Koll im ZDF und Peter Kloeppel bei RTL, sowie bei Phoenix und N-TV
angenehm informativ, schnell und seriös wie eh und je - wären da nicht
die Reporter gewesen.
Einige von ihnen konnten es nicht lassen, die
Oppositionspolitiker zu piesacken, unter anderem Heike Boese von RTL bei
der SPD. Während CDU und CSU als Regierungsparteien fast schon mit
Samthandschuhen angepackt wurden, unter anderem von Sigmund Gottlieb vom BR bei der CSU. Wohlgemerkt: Piesacken ist durchaus erlaubt, Samthandschuhe sind nicht automatisch immer die falsche Wahl.
Problematisch wird es dann, wenn CDU und CSU sowohl vor als auch nach
der Wahl von den Journalisten zuvorkommend behandelt, SPD, Grüne und
Linke hingegen vorwiegend angriffslustig befragt und die kleineren
Parteien fast ganz ausgelassen werden - abgesehen von der FDP. Da drängt
sich die Frage auf, ob sich die Machtverhältnisse nach vier Jahren
schwarz-gelber Regierung vielleicht schon zu stark in die gestressten
Köpfe der TV-Macher eingemeißelt haben.
Dass bei der Schaltung in die Wahlzentralen die Grünen von einem
kritisch nachfragenden Journalisten befragt werden, ist löblich. Aber
warum fehlt der kritische Ansatz dann bei den Regierungsparteien fast
völlig? Auch die Überraschung des Abends, das Rausfliegen der FDP
aus dem Bundestag, blieb von den vorgeschickten TV-Journalisten
freundschaftlich und verständnisvoll, nahezu mitleidig begleitet -
während in den sozialen Medien und unter Usern die große Häme herrschte.
Die telemediale Macht im Staate
Wäre der Wahlabend aufgrund des bis tief in die Nacht unklaren
Wahlergebnisses nicht außerdem noch ein Wahlkrimi sondergleichen
gewesen, dann wäre dieser Eindruck der spannendste gewesen, den der
Wahlkampf zu bieten hatte: Ein Medium greift in den Wahlkampf ein, in
dem es gegen die Opposition stichelt und die (bisherige) Regierung
nahezu in Ruhe lässt. Ein beunruhigendes Bild, das das Fernsehen da
zwischen den Zeilen lieferte.
Kleiner Trost an diesem Abend, erstaunlich genug: Günther Jauch.
In seiner Runde war es ausgerechnet CDU-Mann Wolfgang Schäuble, den er
etwas härter anpackte als die anderen Geladenen. Was daran gelegen haben
könnte, dass Schäuble ein bisschen zum Streiten aufgelegt war. Was aber
auch daran gelegen haben könnte, dass Jauch diese Runden inzwischen
wöchentlich führt, und auch am Abend der Bundestagswahl keine weiteren Ambitionen zu haben schien, als die Gesprächsrunde einigermaßen elegant über die Bühne zu bringen.
Wie genau Deutschland bis zur nächsten Bundestagswahl regiert
werden wird, das werden die kommenden Tage und Wochen zeigen. Wie
allerdings die TV-Journalisten bei der nächsten Gelegenheit besser mit
den Kandidaten umgehen, das könnte ihnen vielleicht einer zeigen, dem
man das noch bis vor nicht allzu langer Zeit am allerwenigsten zugetraut
hatte: Stefan Raab.
Dem zumindest beim Kanzlerduell die Mischung aus bisweilen angebrachter
Respektlosigkeit und ausgleichender Freundlichkeit, weitestgehend
überparteilich, noch fast am besten gelang. Verblüffend genug.
Am Ende ist es für jeden Journalisten eines jeden Mediums, der
oder das sich im Wahlkampf tummelt, eine Frage der Haltung: Wie verhalte
ich mich im Wechselspiel der Mächte - unabhängig von parteipolitischem
Geplänkel? Doch für das Fernsehen mit seiner großen Reichweite und
seinem massentauglichen Ansatz ist diese Haltung für seine
Glaubwürdigkeit entscheidend. Es darf ruhig schon mal flirten mit der
Macht - aber es sollte nicht in den Verdacht geraten, eine dauerhafte
Affäre mit ihr einzugehen.
Jubel und Trauer nach der Bundestagswahl
Eindrücke von den Wahlpartys
Deutschland hat gewählt. Als klare Siegerin geht Angela Merkel
hervor, Rekordverluste muss die FDP hinnehmen. Stimmung und Stimmen von
den Wahlpartys der Union, FDP, SPD, von den Grünen, der Linken und der
AfD.
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