Gefährdete Balance
Auch als Weizsäckers Vortrag im Jahr darauf in einem Buch nachzulesen war, blieb in Bonn bei den Parteien der Ruck zu einem Diskurs kritischer Selbstprüfung aus. Erst die Zuspitzung seiner Thesen ein Jahrzehnt später im Gespräch mit den ZEIT-Redakteuren Gunter Hofmann und Werner A. Perger führte zu einer Kontroverse, in der es am Ende mehr um die Person des Bundespräsidenten, kaum um den Parteienstaat der Bonner Prägung und seine Folgen ging.
Auch der Versuch von Wilhelm Hennis, einem der klügsten wie demokratisch engagiertesten Wegbegleiter der Bundesrepublik seit ihrer Entstehung, die durch Weizsäcker angestoßene Debatte voranzubringen, scheiterte an der Indolenz der Eigentümer des Parteienstaates, sich selbst in dieser Eigenschaft in Frage zu stellen. So kommt es, daß Hennis im letzten seiner zehn Aufsätze aus vier Jahrzehnten, die ein höchst gewichtiges Reclam-Bändchen versammelt, die Balance unseres Landes gefährdet sieht: "Unter der alles durchdringenden Macht des Parteienstaates sind wir dabei, Merkmale deutscher Staatlichkeit zu verspielen, die uns Stärke gaben: Wir waren ein intakter Rechts- und Beamtenstaat, bei bekannter Schwäche des demokratischen Elements, das nun so gut wie vollständig vom Parteienstaat absorbiert wird."
Der deutsche "Parteienstaat" des Grundgesetz-Artikels 21, in seiner hypertrophen Entwicklung immer wieder durch Karlsruhe legitimiert, steht in der demokratischen Staatenwelt einzigartig da. Die Tendenz, andere Prinzipien und Institutionen der Verfassung zu überwuchern, wurde sein Wegweiser und führte damit in einen immer weiteren Ausbau in "Appropriationswut und Pfründengeist". Bereits 1958 hatte der unvergessene sozialdemokratische Jurist Adolf Arndt vergeblich gewarnt, daß eine staatliche Finanzierung die Parteien "denaturiert und korrumpiert".
Dem entwickelten Parteienstaat fällt es immer schwerer, die Probleme des Landes anzupacken, zu lösen. Im Schlußstück "Totenrede des Perikles auf ein blühendes Land" von 1997 beschreibt Wilhelm Hennis einen wichtigen Grund für diese Unfähigkeit: "Es ist Helmut Kohl gelungen, in 15 Jahren schleichenden Verfassungswandels die doch ganz vernünftige Ämter- und Regierungs-, das heißt vor allem Initiativordnung des Grundgesetzes in eine sich völlig verheddernde, von Ämtern auf Personen umgestellte, radikal parteienstaatliche und personalisierte Herrschaftsweise zu transformieren."
Im Jahr der Bundestagswahl wagt Wilhelm Hennis, seinen klugen Diagnosen über die Verfassung unseres Landes in vier Jahrzehnten voranzustellen: "Es könnte sein, daß auch dem deutschen ,Parteienstaat' bald die Stunde schlägt. Zu mächtig ist unter dem Druck der modernen Medien die Versuchung, das amerikanische Vorbild nachzuahmen." Doch könnte sich auch, worauf Hennis schon 1992 hinweist, die "Willensbildung" der Wähler gegen die etablierten Parteien wenden - eine Befürchtung, die durch den Ausgang der Bundestagswahlen allerdings noch nicht bestätigt wurde.
Wilhelm Hennis: Auf dem Weg in den Parteienstaat Aufsätze aus vier Jahrzehnten; Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998; 170 S., 8,- DM
Wilhelm Hennis' Diagnosen des Parteienstaats
Im März 1982 stellte Richard von Weizsäcker, damals Regierender Bürgermeister von Berlin,
die besorgte Frage: Wird unsere Parteiendemokratie überleben? Sein
Stuttgarter Vortrag unter diesem Fragezeichen enthielt eine präzise
Beschreibung, wohin der ursprünglich eher beiläufige Satz im
Grundgesetz: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des
Volkes mit" geführt hat.Auch als Weizsäckers Vortrag im Jahr darauf in einem Buch nachzulesen war, blieb in Bonn bei den Parteien der Ruck zu einem Diskurs kritischer Selbstprüfung aus. Erst die Zuspitzung seiner Thesen ein Jahrzehnt später im Gespräch mit den ZEIT-Redakteuren Gunter Hofmann und Werner A. Perger führte zu einer Kontroverse, in der es am Ende mehr um die Person des Bundespräsidenten, kaum um den Parteienstaat der Bonner Prägung und seine Folgen ging.
Auch der Versuch von Wilhelm Hennis, einem der klügsten wie demokratisch engagiertesten Wegbegleiter der Bundesrepublik seit ihrer Entstehung, die durch Weizsäcker angestoßene Debatte voranzubringen, scheiterte an der Indolenz der Eigentümer des Parteienstaates, sich selbst in dieser Eigenschaft in Frage zu stellen. So kommt es, daß Hennis im letzten seiner zehn Aufsätze aus vier Jahrzehnten, die ein höchst gewichtiges Reclam-Bändchen versammelt, die Balance unseres Landes gefährdet sieht: "Unter der alles durchdringenden Macht des Parteienstaates sind wir dabei, Merkmale deutscher Staatlichkeit zu verspielen, die uns Stärke gaben: Wir waren ein intakter Rechts- und Beamtenstaat, bei bekannter Schwäche des demokratischen Elements, das nun so gut wie vollständig vom Parteienstaat absorbiert wird."
Der deutsche "Parteienstaat" des Grundgesetz-Artikels 21, in seiner hypertrophen Entwicklung immer wieder durch Karlsruhe legitimiert, steht in der demokratischen Staatenwelt einzigartig da. Die Tendenz, andere Prinzipien und Institutionen der Verfassung zu überwuchern, wurde sein Wegweiser und führte damit in einen immer weiteren Ausbau in "Appropriationswut und Pfründengeist". Bereits 1958 hatte der unvergessene sozialdemokratische Jurist Adolf Arndt vergeblich gewarnt, daß eine staatliche Finanzierung die Parteien "denaturiert und korrumpiert".
Dem entwickelten Parteienstaat fällt es immer schwerer, die Probleme des Landes anzupacken, zu lösen. Im Schlußstück "Totenrede des Perikles auf ein blühendes Land" von 1997 beschreibt Wilhelm Hennis einen wichtigen Grund für diese Unfähigkeit: "Es ist Helmut Kohl gelungen, in 15 Jahren schleichenden Verfassungswandels die doch ganz vernünftige Ämter- und Regierungs-, das heißt vor allem Initiativordnung des Grundgesetzes in eine sich völlig verheddernde, von Ämtern auf Personen umgestellte, radikal parteienstaatliche und personalisierte Herrschaftsweise zu transformieren."
Im Jahr der Bundestagswahl wagt Wilhelm Hennis, seinen klugen Diagnosen über die Verfassung unseres Landes in vier Jahrzehnten voranzustellen: "Es könnte sein, daß auch dem deutschen ,Parteienstaat' bald die Stunde schlägt. Zu mächtig ist unter dem Druck der modernen Medien die Versuchung, das amerikanische Vorbild nachzuahmen." Doch könnte sich auch, worauf Hennis schon 1992 hinweist, die "Willensbildung" der Wähler gegen die etablierten Parteien wenden - eine Befürchtung, die durch den Ausgang der Bundestagswahlen allerdings noch nicht bestätigt wurde.
Wilhelm Hennis: Auf dem Weg in den Parteienstaat Aufsätze aus vier Jahrzehnten; Verlag Philipp Reclam jun., Stuttgart 1998; 170 S., 8,- DM
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