Grünen-Spitzenkandidatin
Göring-Eckardt sieht in der Pädophilie-Aufarbeitung keine Fehler ihrer
Partei - und verteidigt ihren Co-Spitzenkandidaten Trittin. In einem
Antwortbrief an die stellvertretende CSU-Generalsekretärin Bär wirft sie
der Union Versagen beim Thema häusliche Gewalt gegen Kinder und Frauen
vor.
Berlin - Die Grünen-Spitzenkandidatin
Katrin Göring-Eckardt stellt sich in der Pädophilie-Debatte vor ihren Co-Spitzenkandidaten
Jürgen Trittin. In der Antwort auf einen
Brief der stellvertretenden CSU-Generalsekretärin Dorothee Bär,
in dem die Unionsfrau von Göring-Eckardt mehr Engagement in der
parteiinternen Aufarbeitung fordert, schreibt die Grünen-Politikerin:
"Als Mutter, als die Sie mich ansprechen, vor allem aber als
Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen sage ich Ihnen, dass sich
die Grünen vor mehr als 30 Jahren schrecklich verirrt haben." Der
Antwortbrief liegt SPIEGEL ONLINE vor.
Am Montag war bekannt geworden, dass
Trittin 1981 das kommunalpolitische Wahlprogramm einer Göttinger Grünen-Liste presserechtlich verantwortet
hatte, in dem Sex zwischen Erwachsenen und Kindern unter bestimmten
Bedingungen straffrei gestellt werden sollte. Darauf waren die
Parteienforscher Stephan Klecha und Franz Walter gestoßen,
der im Auftrag der Grünen die Verstrickungen der Partei mit pädophilen Aktivisten Anfang der Achtziger untersuchen.
Für Trittin und die Grünen kommt das Thema kurz vor der Bundestagswahl zu einem äußerst ungünstigen Zeitpunkt, gerade die Union dürfte es im Finale bis Sonntag ausschlachten.
Prompt schrieb CSU-Frau Bär am Montag mit weiteren
Unionspolitikerinnen einen Brief an Göring-Eckardt, in dem sie die
Grünen-Politikerin zu mehr Aufklärung drängte. "Als Mutter zweier Söhne
dürfen Sie zu sexuellem Missbrauch an Kindern und Jugendlichen nicht
schweigen", schrieb Bär. Unionspolitiker wie CSU-Generalsekretär
Alexander Dobrindt und Junge-Union-Chef Philipp Mißfelder legten Trittin
am Montag den Rücktritt als Spitzenkandidat nahe.
Scharfe Worte gegen die Union
Göring-Eckardt reagiert auf die Attacken aus der Union nun mit
scharfen Worten: "Ich sage Ihnen aber ebenso klar: Hören Sie endlich
auf, mit diesem Thema Wahlkampf zu machen!"
"Die offene Aufarbeitung der Grünen-Geschichte liegt uns als Partei
und auch mir persönlich sehr am Herzen", schreibt die Politikerin. "Und
Jürgen Trittin selbst hat die Aufarbeitung dieser Gründungsphase der
Grünen und die Beauftragung unabhängiger Wissenschaftler mit angestoßen
und die Verantwortung für eigene Fehler übernommen."
Gleichzeitig erhebt Göring-Eckardt indirekt Vorwürfe auch gegen die
Union. "Der Umgang mit Gewalt im engsten Kreis der Familie und mit
Kindern hat im Deutschen Bundestag erst Ende der neunziger Jahre
endgültig eine eindeutige Ablehnung erfahren." Die Grünen-Politikerin
schreibt: "Unabhängig davon, dass die Vergewaltigung in der Ehe erst
1997 strafbar wurde, von den Frauen übrigens gegen die Mehrheit von
CDU/CSU durchgesetzt, hat es für die Verurteilung elterlicher Gewalt in
der Erziehung noch länger gedauert, dazu brauchte es erst eine rot-grüne
Bundesregierung." Göring-Eckardts Vorwurf: "An diese Geschichte sollten
Sie sich erinnern, bevor Sie auf Ihr hohes Ross steigen, Frau Bär. Eine
Geschichte, in der Frauen und Kinder, Schwule und Lesben sehr lange
Leidtragende waren."
Göring-Eckards Appell an die CSU-Politikerin: "Sehr geehrte Frau Bär,
sollte es Ihnen tatsächlich um Nulltoleranz gegenüber Kindesmissbrauch
und Gewalt gegen Kinder gehen, schlage ich Ihnen gern eine gemeinsame
Aufarbeitung der Geschichte der letzten Jahrzehnte des vergangenen
Jahrhunderts vor."
Unterstützung
für Trittin und die Grünen kam am Dienstag vom Beauftragten der
Bundesregierung für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs,
Johannes-Wilhelm Rörig. Er bescheinigte den Grünen, mit der
unabhängigen Aufarbeitung ihrer Gründungszeit die richtige Entscheidung
getroffen zu haben. "Auch schmerzhafte Ergebnisse werden veröffentlicht,
das ist genau der richtige Weg", sagte Rörig dem "Tagesspiegel".
Auch SPD-Chef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles lobten den Umgang Trittins und der Grünen mit dem Pädophilie-Thema.
Grüne Göttingen
Auszug aus dem von Trittin presserechtlich verantworteten
Göttinger Kommunalwahlprogramm der Alternativen-Grünen-Initiativen-Liste
(AGIL) von 1981