12.10.13
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Benedikt Herles
Der Deserteur einer kaputten Wirtschaftselite
Zu zahlengläubig, zu glatt geschliffen, zu kaputt – der
Ex-Berater Benedikt Herles prangert den Zustand der Wirtschaftselite an.
Sie trainiert schon dem Nachwuchs das Denken ab, sagt er. Von Pia Frey
Benedikt Herles
gehörte selbst dazu, zur Wirtschaftselite. Er war ein aufstrebender
Jung-Manager: Jahrgang 1984, Studium der Volks- und
Betriebswirtschaftslehre und Promotion über die Entstehung ökonomischer
Werte. Karriereaussichten: blendend. Dafür ackerte er auch Nächte durch,
immer mit dem Ziel, einen Top-Job zu ergattern. Doch dann hielt er es
nicht mehr aus – und wollte eine Veränderung. Jetzt hat er ein Buch
geschrieben: "Kaputte Elite", in dem er die Zustände in den
Führungsetagen anprangert.
Die Welt: Herr Herles, sind Sie der Whistleblower der jungen Wirtschaftselite?
Benedikt Herles: Wenn
ich das wäre, dann hätte ich ja Geheimnisse ausgeplaudert. Das muss ich
aber gar nicht, um zu zeigen, dass etwas schiefläuft in unserer
Wirtschaft. Das, was ich in meinem Buch anprangere, ist erschreckend
öffentlich. Die von mir kritisierten Institutionen stehen ja offen zu
ihren falschen Idealen.
Die Welt: Und die sind?
Herles: "Eigennutz
ist rational", "nur Zahlen und Daten haben einen Wert", "Mund halten
und abliefern, was gefragt ist" – das sind die Spielregeln, die jeder
kennt. Es stellt sie nur niemand infrage.
Die Welt: Viele
Unternehmen sind mit dieser Kultur sehr erfolgreich: straffe
Hierarchien, klare Regeln, harte Anforderungen. Wo ist das Problem?
Herles: Das
Problem ist, dass falsche Mentalitäten und Methoden das richtige System
korrumpieren. Natürlich glaube ich an eine freie und soziale
Marktwirtschaft. Gerade deshalb habe ich dieses Buch ja geschrieben. Die
antrainierten Dogmen machen Menschen unglücklich. Sie vernichten
Kapital, schaden Unternehmen und verhindern letztlich Innovation. Sie
schaffen eine Wirtschaft und eine Gesellschaft, in der ich nicht leben
will.
Die Welt: Wie ist es so weit gekommen?
Herles: Alle
reden von der Krise der Finanzmärkte. Aber eigentlich erleben wir eine
Krise der ökonomischen Eliten. Mit meinen 29 Jahren bin ich ungefähr so
alt wie die Probleme, vor denen wir heute stehen. 1987, drei Jahre nach
meiner Geburt, hat Gordon Gecko im Film "Wallstreet" verkündet, Gier sei
gut. Die moderne Betriebswirtschaftslehre wurde entwickelt,
Unternehmensberater und Business Schools etablierten sich als mächtige
Institutionen, und der Shareholder Value setzte sich als irriges Dogma
durch. Jetzt, 30 Jahre später, ernten wir die Früchte. Wir erleben die
größte Glaubwürdigkeits- und Stabilitätskrise der freien Wirtschaft seit
der großen Depression. Es ist Zeit, die Schraube zurückzudrehen.
Die Welt: Sie waren Teil des Systems.
Herles: Ja,
ich wurde ausgebildet in einem System, das einem fast schon religiösen
Glauben an mathematische Rationalität und Analyse erlegen ist. Die
kaputte Elite huldigt dem Dogma von Effizienz und Optimierung.
Professoren und Unternehmen meinen, mit Excel-Tabellen das komplette
wirtschaftliche Gefüge beherrschen zu können. Genau deshalb standen die
Finanzmärkte vor fünf Jahren am Rande des Abgrunds. Trotzdem predigen
die Business-Schools weiter ihre technokratische Weltsicht, pflanzen sie
ihrem Nachwuchs ein und trainieren ihnen das eigene Denken ab. Da
beginnt das Dilemma. Nur so konnten sich die falschen Dogmen überhaupt
so lange halten.
Die Welt: Wie reagieren Ihre Ex-Kollegen darauf, dass Sie ihre Glaubensgrundsätze infrage stellen?
Herles: Von
Freunden aus der Beratung, aber auch von Vorständen aus großen
Unternehmen bekomme ich bisher überraschend zustimmendes Feedback. Es
kommen aber natürlich auch Nachrichten von Leuten, die sich extrem
angegriffen fühlen und die tatsächlich so reagieren, als hätte ich ihre
Religion verraten.
Die Welt: Und Sie sind der Ketzer?
Herles: Ich
habe nur das Offensichtliche ausgesprochen und will vor allem
Denkanstöße geben. Die Bandbreite und die emotionale Aufgeladenheit der
Reaktionen zeigen mir jetzt, dass ich offenbar in ein Wespennest
gestochen habe. Aber genau das war mein publizistisches Ziel: einen
Diskurs über diese unhinterfragten Strukturen anzuregen.
Die Welt: Aber kann ein Diskurs Praktiken verändern, die sich über Jahrzehnte etabliert haben?
Herles: Ich
bilde mir nicht ein, das System auf den Kopf stellen zu können. Aber
ich kann auf Grundlage meiner ganz subjektiven Erfahrungen sagen, dass
vieles falsch läuft.
Die Welt: Was müsste sich denn verändern?
Herles: Wir
brauchen eine andere Führungsmentalität, andere Charaktereigenschaften
an der Spitze, und wir müssen uns vor allem ernsthaft Gedanken machen,
wie wir unsere zukünftigen Manager auswählen und formen wollen. Auf den
zahlengetriebenen Shareholder-Kapitalismus der letzten 30 Jahre muss ein
kunden- und mitarbeiterorientierter Kapitalismus der nächsten 30 Jahre
folgen. In der Ausbildung der Wirtschaftselite müssen wir zurück zum
humboldtschen Bildungsideal, weg vom ökonomischen Wert der Bildung und
hin zu geisteswissenschaftlichen Idealen. Anders ausgedrückt: Ein
bisschen mehr öffentliche Uni würde auch so mancher Business-School
guttun.
Die Welt: Wie ist das Klima an einer Business-School, etwa der bekannten WHU in Koblenz?
Herles: Business-Schools
sind vor allem Durchlauferhitzer. In Orten wie zum Beispiel Vallendar
rennen die Studenten mit dem "Wall Street Journal" und der Laptoptasche
unterm Arm zwischen Schreibtisch und Vorlesung hin und her und arbeiten
an ihrem Traum von hohen Einstiegsgehältern. Man lernt
Power-Point-Folien auswendig und wird darauf trainiert, ein schnurrendes
Rädchen in einem großen Getriebe zu werden. Für Reflexion bleibt gar
keine Zeit im vollbepackten Curriculum. Natürlich kann man nicht alle
Business-School-Studenten über einen Kamm scheren. Entscheidend ist
aber, dass das "System Business School" junge Menschen in eine bestimmte
– ich finde falsche – Richtung drängt.
Die Welt: Wie erzieht man junge ehrgeizige Einsteiger dazu, ihre Ideale zu hinterfragen?
Herles: Wir
müssen die Erziehung zur geistigen Freiheit in den Mittelpunkt stellen.
Wir brauchen keine Produkte für die Personalabteilung, sondern
reflektierte Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Schauen wir uns die
meisten "High Potentials" doch mal an. Die sind glatt geschliffen bis
zum Gehtnichtmehr. Ich bin deshalb dafür, den reinen BWL-Abschluss
abzuschaffen und zumindest ein Nebenfach in Geistes- und
Sozialwissenschaften zur Pflicht zu machen. Wer nur BWL lernt, wird
irgendwann zum zahlengläubigen Technokraten.
Die Welt: Unternehmensberatungen und Investmentbanken stellen auch jetzt schon Quereinsteiger aus Geistes- und Naturwissenschaften ein.
Herles: Damit
brüsten sie sich, ja. Aber Anspruch und Wirklichkeit klaffen in der
kaputten Elite dramatisch auseinander. Alle behaupten, sie suchten die
Vielfalt der unterschiedlichen Perspektiven und inspirierende "out of
the box"-Denker. Am Ende des Tages ist aber Schablonendenken gefragt,
nicht Kreativität und Reflexion. Gesucht sind Excel-Jongleure und
Folien-Akrobaten. Wer nachts um eins noch am besten die Zahlen drehen
kann, hat gewonnen. Es gilt: Machen, nicht denken.
Die Welt: Sie haben dieses Spiel immerhin zehn Jahre lang mitgespielt.
Herles: Ich
wollte immer gestalten und wusste, dass man das am besten in der
Wirtschaft kann. Nicht aus einem monetären Interesse heraus – sonst
hätte ich jetzt bestimmt nicht dieses Buch geschrieben, sondern weil ich
Dinge verändern und verbessern möchte.
Die Welt: Und wie wird man Wirtschaftslenker?
Herles: Zuallererst
muss man wie auch ich anfangen, an den Stationen seine Häkchen zu
machen, an denen man als "High Potential" eben seine Häkchen machen
muss: Praktika bei Banken, Beratungen, dann eine gut vernetzte
Hochschule. Über die Jahre musste ich aber leider feststellen, dass
einem dort der unabhängige Gestaltungswille systematisch abtrainiert
wird.
Die Welt: Bei manchen endet es vorher. Kannten Sie den Bank-Praktikanten Moritz E., der in London ums Leben kam? Er soll 72 Stunden durchgearbeitet haben und dann bei einem epileptischen Anfall gestorben sein.
Herles: Ich
kenne die genauen Hintergründe dieses tragischen und traurigen Falles
nicht, aber er scheint der letzte Beweis dafür zu sein, dass etwas
gewaltig schiefläuft.
Die Welt: Sie sind also ausgestiegen.
Herles: Ganz
im Gegenteil. Ich bin eben kein Aussteiger. Hätte ich dem System den
Rücken zukehren wollen, dann hätte ich eine Strandbar eröffnet.
Stattdessen habe ich ein Buch geschrieben und arbeite mittlerweile in
einem Venture Capital Fonds. Dort helfe ich dabei, Innovationen in
unserer Volkswirtschaft voranzutreiben und junge Unternehmer zu
finanzieren, damit sie ihre Ideen verwirklichen können. Jetzt erlebe ich
die Welt der Ideen und der kreativen Teams, die ich vorher gesucht
habe. Diesen Geist müssen wir viel mehr auch in anderen Teilen der
Wirtschaft forcieren. Nur so können wir Menschlichkeit und ökonomischen
Erfolg verbinden.
© Axel Springer AG 2013. Alle Rechte vorbehalten
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